Gemeinsames Gedenken
Das deutsch-französische „Historial“ auf dem Hartmannsweilerkopf

Als Menschenfresserberg (la montagne mangeuse d’hommes) bezeichneten während des Ersten Weltkriegs die deutschen und französischen Soldaten den Hartmannsweilerkopf auf fast 1.000 Höhenmetern. Beide Seiten wähnten sich im Elsass auf heimischem Territorium, das es zu verteidigen beziehungsweise zurückzuerobern galt. Acht Mal wechselte der symbolische Gipfel des Berges seinen Besitzer. Die Zahl der Toten, Verwundeten und Kriegsgefangenen stieg auf mehrere zehntausend Mann. Hatte der Hartmannsweilerkopf zu Beginn des Krieges noch eine strategische Bedeutung, so verlor er diese im Kriegsverlauf. Das Gedenken nach Kriegsende war mit der Errichtung eines Kreuzes (1919), der Anlage eines Soldatenfriedhofs, der Einweihung einer Krypta und des „Altars des Vaterlandes“ sowie mit der Ernennung zu einer der vier großen nationalen Gedenkstätten Frankreichs (1932) national und militärisch geprägt.

Mein Großvater Joseph Rey (1899-1990), der 30 Jahre lang Oberbürgermeister von Colmar war, wurde nach Verfolgung und Inhaftierung in der NS-Zeit ein überzeugter Europäer, der sofort nach Kriegsende mit gleichgesinnten Deutschen Kontakt aufnahm und unter anderem die erste deutsch-französische Touristikroute „Grüne Straße / Route Verte“ mitinitiierte. Er war und ist mir, auch in meiner einstigen Tätigkeit als Tourismusdirektor im Elsass, immer ein Vorbild. Mit der deutsch-französischen Versöhnung und Freundschaftspolitik, eingeleitet durch Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, rückte auch der Hartmannsweilerkopf wieder in ein breiteres deutsch-französisches Besucherinteresse.

Mithilfe von binational finanzierten Interreg-Programmen konnten ab 2009 die Außenanlagen historisch authentisch restauriert werden. Zum ersten Mal wurden dabei auch in der Krypta die an den Kämpfen beteiligten deutschen Regimenter genannt. Die wissenschaftliche Aufbereitung des Schlachtfel- des umfasste neben umfangreichen Restaurierungsarbeiten 45 dreisprachig gehaltene Informationstafeln entlang historischer Entdeckungswege (90 Kilometer). Führungen werden auch in deutscher Sprache angeboten – eine App erschließt das Schlachtfeld mit seinen 150 unterschiedlichen Orten.

Der Bau einer Gedenkstätte im Elsass, die bewusst als „Historial“ bezeichnet wird, konnte nur in einem deutsch-französischen Kontext entstehen und ist damit die erste und einzige deutsch-französische Gedenkstätte. Ab 2008 wurden auf französischer wie auf deutscher Seite Initiativen gestartet, die die avisierte Bausumme von 4,7 Millionen Euro sicherstellen sollten.

Die Planungsphase für das Historial wurde von einem deutsch-französischen Expertenteam mit den Historikern Professor Nicolas Offenstadt und Professor Gerd Krumeich sowie dem Landesarchiv Baden-Württemberg begleitet. Die in engem Kontakt mit dem „Comité du Monument National du Hartmannswillerkopf“ erarbeitete deutsch-französische Wanderausstellung „Menschen im Krieg 1914-1918 am Oberrhein / Vivre en temps de guerre des deux côtés du Rhin 1914-1918“ hatte bereits 2014 erstmals – grenzüberschreitend und zweisprachig – das Schicksal von 32 Männern, Frauen und Kindern, die während des Ersten Weltkriegs beidseits des Rheins lebten, in den Mittelpunkt gestellt und damit die alten nationalen Sichtweisen überwunden.

Am 3. August 2014, auf den Tag genau 100 Jahre nach Kriegsausbruch, legten der französische Staatspräsident François Hollande und Bundespräsident Joachim Gauck den Grundstein zum Bau des „Historials“, flankiert unter anderem von Jugendlichen des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Ihre Nachfolger Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Staatspräsident Emmanuel Macron, weihten das „Historial“ am 10. November 2017 ein.

Die Konzeption des „Historials“, beginnend mit einem ein- führenden Film und einer beeindruckenden Szenografie in deutscher und französischer Sprache, zeigt das Leben und Leiden der einfachen Soldaten auf beiden Seiten der Front, das in einer Darstellung der deutsch-französischen Beziehun- gen gipfelt. Der stetige Besucherandrang beweist, dass das binationale Konzept Früchte trägt – mit einer deutsch-französischen Freundschaft in einem friedlichen und geeinten Europa.

Jean Klinkert, Präsident des „Komitees für das Nationaldenkmal Hartmannsweilerkopf“