Gespräch mit Toccarion-Gründer Sigmund Kiener sowie Stefan und Nicole Kiener, die die Kinder-Musik-Welt leiten / Wie gewinnen Kinder Stärke durch Musik und wie werden prominente Musiker im Toccarion selbst wieder zu Kindern
Das Abenteuer Musik führt durch mehrere Räume. Die jungen Menschen sind ganz bei der Sache. Was braucht man eigentlich, um Töne zu erzeugen? Richtig: Luft! Und wie das funktioniert mit Zwerchfell und Stimmbändern, dürfen alle gleich nebenan ausprobieren. Hier erfährt man, dass Musik Emotionen ausdrücken kann. Wer einen lachenden Smiley drückt, der hört eine fröhliche Melodie und wer das verliebte Smiley-Button anklickt, dem erklingen romantisch herzerwärmende Töne. Musik fördert Kreativität und macht Spaß. Eine Melodie weckt oft mehr Gefühle als tausend Worte. Kinder spielerisch an die Musik heranführen, ihnen die Faszination der Instrumente, Töne und Kompositionen auf unterschiedliche Weise und an konkreten Beispielen zu zeigen und sie auch selbst aktiv werden zu lassen, all das ist in der einzigartigen Kindermusikwelt Toccarion in Baden-Baden möglich. Um Oboe oder Posaune zu spielen, braucht man richtig viel Puste! Das können Kinder hier mal selbst versuchen und in eine echte Tuba blasen, um der Königin der Blechblasinstrumente einen Ton zu entlocken. Das Toccarion der Sigmund Kiener Stiftung im Festspielhaus Baden-Baden führt spielerisch an die vielfältige Welt der Musik heran. Der Name Toccarion ist eine neue Wortkreation, in der zwei Begriffe aus der Musik anklingen: „toccata“ (ein frei gespieltes Musikstück) und „toccare“ (italienisch für berühren, anfassen, begreifen).
Auf einer Fläche von 600 Quadratmetern kann man hier selbst komponieren, ein ganzes Orchester dirigieren oder eine echte Harfe spielen. Spaß an der Musik, am Erzeugen von Klangwelten, am Lauschen und Staunen stehen dabei im Vordergrund. Ein Team aus Musiklotsen und Musiklotsinnen führt täglich Gruppen von Kindergärten, Schulklassen, Musikvereinen oder Einzelpersonen durch die fantastische Musikwelt. Der Stifter Sigmund Kiener hat die Kinderwelt ins Leben gerufen und finanziert. Die Sigmund Kiener Stiftung übernimmt auch die laufenden Kosten.
Wir sprechen mit dem Gründer des Toccarion, Sigmund Kiener.
Weshalb haben Sie sich eigentlich für die Kinder-Musik-Welt Toccarion entschieden?
Sigmund Kiener: Seit dem Jahr 2001 unterstütze ich maßgeblich das Festspielhaus Baden-Baden als Förderer und Stifter. In meiner zehnjährigen Tätigkeit als Vorsitzender des Stiftungsrates diskutierten wir im kleinen Kreise immer wieder über die Notwendigkeit, schon junge Menschen für die Musik zu interessieren. So entstand der Gedanke, eine Kinder-Musik-Welt zu errichten. Ich entschloss mich, über meine gemeinnützige Stiftung, den Westflügel des alten Bahnhofes zu renovieren und zusätzlich das Untergeschoss für die Musikinstallationen auszubauen. Nach neun Monaten Bauzeit konnte dann am 10. Mai 2013 die Kinder-Musik-Welt Toccarion eröffnet werden.
Wie ist Ihre persönliche Beziehung zur Musik?
Kiener: Seit ich zurückdenken kann, wurde in meinem Elternhaus musiziert. Mein Vater spielte Zither, meine Mutter Mandoline, meine Schwester Klavier und Flöte, und ich lernte mit sechs Jahren Klavier, was ich auch heute noch gerne spiele. Gleichermaßen war und bin ich begeistert von Opern, Symphoniekonzerten und Jazz-Veranstaltungen. Meine Mutter hat übrigens bis zu ihrem 97. Lebensjahr versiert auf der Mandoline gespielt. Das hat mich sehr beeindruckt. Eigentlich hatten wir eine kleine Musikkapelle zuhause.
Hat es Sie überrascht, wie gut die Kinder-Musik-Welt Toccarion angenommen wird?
Kiener: In unseren optimistischen Planungen gingen wir von gut 6.000 Kindern pro Jahr aus, aber die Nachfrage war wesentlich größer: Es sind fast 10.000 Kinder und Jugendliche pro Jahr.
In welche Lücke springt das Toccarion — Musikunterricht gibt es ja auch in der Schule oder in Musikschulen und Musikvereinen?
Kiener: Wir wollen die Initialzündung geben, wir wollen die Begeisterung wecken. Der Funke muss überspringen. Wenn die Kinder dann dauerhaft Musik machen wollen in Schulen und Musikvereinen, ist das für alle sehr positiv. Das ergänzt sich gut. Es ist ein riesiger Unterschied, ob die Eltern zum Kind sagen: Lerne Klavier oder das Kind von sich aus sagt, ich möchte Klavier lernen. Leider wird dieser Impuls im Musikunterricht in den Schulen nicht mehr hinreichend gegeben. Es soll den Kindern Spaß machen, das ist entscheidend.
Wie profitiert Baden-Baden vom Toccarion?
Kiener: Während der vergangenen 20 Jahre hat sich Baden-Baden sukzessive von der Bäder- und Kurstadt zu einer anerkannten Kulturstadt weiterentwickelt. Belege dafür sind das Festspielhaus mit internationalem Renommee, das Museum Frieder Burda, um nur einige wenige zu nennen. Das jüngste Kind ist nunmehr das Toccarion, was unter anderem auch dazu führt, Baden-Baden für Familien mit Kindern noch attraktiver zu machen.
Mein Sohn Stefan leitet mit seiner Frau Nicole nunmehr die Kinder-Musik-Welt seit Jahren sehr erfolgreich. Ich bin wirklich begeistert von diesem Erfolg. Darauf können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich täglich für das Toccarion einsetzen, stolz sein.
Stefan und Nicole Kiener leiten das Toccarion, sie haben es zusammen mit Sigmund Kiener initiiert und mit aufgebaut.
Was ist das Besondere am Toccarion?
Stefan Kiener: Es ist eine weltweit einzigartige Einrichtung, um Kinder spielerisch für Musik zu begeistern. Virtuelle Spiele und viele spannende und auch einzigartige Instrumente sind im „Dschungel der Klänge“ zu entdecken. Selbst ihren Bewegungsdrang können Kinder hier austoben, zum Beispiel beim Kicken der Noten im „Notenpuzzle“ oder beim Tanzen. Wer will, kann munter auf einem riesigen „Walking Piano“ hüpfen und es so zum Leben erwecken. Über Kopfhörer, Mikro und Zerrspiegel werden Stimme und Körper verfremdet, was regelmäßig zu großem Gelächter führt. Die jungen Musiker dürfen sogar ein virtuelles Orchester dirigieren.
Welche Kinder würden ohne eine solche Einrichtung gar nicht mit Musik in Verbindung kommen?
Nicole Kiener: Manchmal haben Kinder in sozial schwachen Familien nicht so viele Möglichkeiten, ein Instrument zu lernen und sich auch generell mit Musik zu beschäftigen. Über die Schulklassen, die zu uns kommen, werden alle Kinder automatisch mit dem Thema befasst und kommen in Kontakt mit der Musik.
Wie viele Kinder waren schon im Toccarion?
Stefan Kiener: Seit Bestehen haben bereits rund 80.000 Personen die Kinder-Musik-Welt Toccarion erlebt, ein großer Erfolg! Wer einmal da war, geht begeistert und beschwingt nach Hause. An den Wochenenden werden neben Workshops und einer musikalischen Schatzsuche auch Familienführungen für Erwachsene und Kinder gemeinsam angeboten. Am Anfang hatten wir die Zielgruppe von fünf bis zwölf Jahren. Inzwischen kommen auch Jugendliche zu uns und sind be- geistert. Für jüngere Kinder unter fünf Jahren haben wir Workshops von null bis zwei und von zwei bis vier Jahren.
Wie funktionieren denn Workshops bei so ganz kleinen Kindern?
Nicole Kiener: Als hier im Toccarion der „Maustüröffnertag“ der „Sendung mit der Maus“ stattfand, haben wir zum ersten Mal ein Angebot für Unter-Fünfjährige entwickelt. Das kam so gut an, dass wir daraus spezielle Workshops konzipiert haben. Die Kleinsten begeben sich nun auf Abenteuerreise mit unseren Musikmäusen Tocci und Rio. So können erste musikalische Erfahrungen gemacht werden.
Was mögen die Kinder zwischen zwei und vier Jahren am liebsten?
Nicole Kiener: In diesem Alter singen und bewegen sich Kinder sehr gerne. Oft singen und tanzen Kinder, bevor sie sprechen oder laufen können. Darauf gehen wir ein. Und sie machen erste Erfahrungen mit dem Ausprobieren verschiedener Instrumente. Deshalb liegt der Fokus auf Rhythmus- und Schlaginstrumenten, dem gemeinsamen Bewegen und der eigenen Stimme.
Über das Festspielhaus kommen immer wieder prominente Musiker ins Toccarion. Wie reagieren sie?
Stefan Kiener: Sie sind total begeistert. Musiker wollen natürlich auch gerne Kinder an ihrer Leidenschaft für Musik teilhaben lassen. Oftmals spielen diese Profimusiker unsere Spiele auf hohem Niveau, sie komponieren anspruchsvolle Rhythmen und singen beispielsweise Akkorde am „Rhythmusradar“ ein. Die Spiele funktionieren ja in jeder Schwierigkeitsstufe. Das macht auch den Profis Spaß, die dann plötzlich selbst wieder zu Kindern werden.
Und wer war schon alles hier?
Stefan Kiener: John Neumaier vom Hamburg Ballett, Anne-Sophie Mutter, Udo Lindenberg, Nils Landgren, Glasperlenspiel, Marc Marshall und einige Künstler, die beim „SWR3 New Pop Festival“ waren, zum Beispiel Alice Cooper, Rea Garvey, Matt Simons und die Strombellas.
SELBSTVERTRAUEN DURCH MUSIK
Was löst eigentlich der spielerische Umgang mit Musik bei Kindern aus?
Stefan Kiener: Es macht ihnen einfach großen Spaß zu spielen! Alle Kinder spielen gerne. Wenn sie nicht das Gefühl haben, wir kommen dahin und müssen etwas lernen, dann ist die Begeisterung groß, Instrumente auszuprobieren, die sie noch nie in der Hand hatten oder an den verschiedenen Stationen zu spielen. Da soll ein Funke überspringen, ein Impuls, eine Initialzündung, weiter Musik zu machen. Sie haben dann alle Möglichkeiten, im Musikverein, in der Schule oder anderen Einrichtungen Musik zu machen. Viele landen auch in der Musikschule. Genau das wollen wir erreichen.
Nicole Kiener: Musik löst bei den meisten Menschen Glücksgefühle aus. Kinder sind im Ausdruck dieser Gefühle viel direkter als Erwachsene. Sie trauen sich mehr und denken nicht lange darüber nach, ob sie ein Instrument richtig halten oder ihre Bewegungen zum Lied passen. Sie sind sehr viel hemmungsloser. Der spielerische Umgang mit der Musik und den Instrumenten unterstützt diese Hemmungslosigkeit. Es kann nichts falsch gemacht werden, es muss nichts gewusst werden, die Kinder können sich völlig frei entfalten. So bleibt das Erlebnis Musik unvergesslich.
Macht Musik Kinder stärker?
Stefan Kiener: Wenn Kinder musizieren, wird das Sprachzentrum besser ausgeprägt, auch das mathematische Denken wird gefördert und Musizieren stärkt die sozialen Fähigkeiten, die man im Leben immer braucht. Hilfsbereitschaft, Toleranz, ein Gruppengefühl und Zusammenhalt entwickeln. Das alles wird über die Musik gefördert. Es ist mehr als das reine Musizieren. Kinder, die musizieren, haben mehr Selbstvertrauen.
Was gefällt Ihnen Beiden selbst am besten im Toccarion?
Nicole Kiener: Ich liebe unsere Tanzspiele. Ich könnte Stunden damit verbringen, Walzer zu tanzen oder den Radetzky Marsch zu hüpfen. Ein Riesenspaß! Aber auch unsere Instrumente haben es mir angetan. Es ist immer wieder ein tolles Gefühl, einen Ton aus dem Horn oder einem Fagott zu bekommen. Auch wenn es manchmal etwas länger dauert.
Stefan Kiener: Ich mag den „Rhythmusradar“ sehr gerne, man kann jedes Mal etwas Neues umsetzen, gerade auch durch unsere neuen Weiterentwicklungen der Station. Das ist nie gleich und sehr variabel.
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