Gespräch mit Kai Gniffke, Intendant des SWR und ARD-Vorsitzender, über die Schwäbisch-Alemanischen Narrenzünfte, einen gewagten Kameraschwenk, Nervenkitzel und über seine geplante Fahrt mit der neuen Super-Achterbahn „Voltron Nevera“.
Vom Reporter, Journalisten, Nachrichtenmann und Chef der Tagesschau zum Intendanten: eine exzellente Karriere. Fehlt Ihnen die journalistische Tätigkeit? Wären Sie nicht mal wieder gerne ganz einfach Reporter: Journalismus vor Ort anstatt Sitzungen im Sender?
Kai Gniffke: Wenn Sie wüssten, wie wenig ich zum Sitzen im Sender komme! Allein im vergangenen Jahr bin ich von Berufs wegen handgestoppte 80.000 Kilometer durch die Republik gesaust. Aber Scherz beiseite: Ich bin Manager eines großen Medienunternehmens und dabei noch immer durch und durch Journalist. Was mich in meiner Rolle als Intendant des SWR und derzeit als ARD-Vorsitzender antreibt, ist ja gerade die Leidenschaft für professionellen Journalismus. Dafür die Weichen zu stellen, dass die Menschen in Deutschland mit den bestmöglichen Inhalten im Radio, Fernsehen und Internet versorgt werden, von exzellenten und unabhängigen Journalistinnen und Journalisten in den Regionen.
Sie gelten als persönlich, menschlich, verbindend und wurden noch in Ihrer Hamburger Zeit 2015 von den Schwäbisch-Alemannischen Narrenzünften im Europa-Park mit der „Goldenen Narrenschelle“ ausgezeichnet. Wie haben Sie das empfunden und erlebt?
Gniffke: Ehrlicherweise wurde ich ja nicht mit der Narrenschelle ausgezeichnet wegen meiner Charakterzüge … sondern weil wir in den Nachrichten einen Bock geschossen hatten. Ich war damals Chefredakteur der Tagesschau. In einem politischen Bericht über das Dreikönigstreffen der FDP gab es einen gewagten Kameraschwenk, an den Beinen einer Politikerin entlang. Dieser Kameraschwenk sorgte zu Recht für Entrüstung und Kritik. Ich habe damals die Verantwortung übernommen und mich bei der betroffenen Person entschuldigt. Naja, und dann eben neben ordentlich Häme auch noch die Narrenschelle kassiert.
Wie unter anderem Moderator Thomas Gottschalk und Fußballtrainer Christian Streich ist auch Kai Gniffke Träger der „Goldenen Narrenschelle“, die im Europa-Park übergeben wird.
Idyllisch mitten im Grünen liegt das SWR-Funkhaus Baden-Baden. Wie die Funkhäuser in Mainz und Stuttgart präsentiert sich der Standort mit seinen Hörfunk- und Fernsehstudios auf dem neuesten Stand der Technik.
Eigentlich war dann die Narrenschelle neben Ihrer fachlichen Qualifikation ein gutes Omen für die Bewerbung als Intendant im Südwesten …
Gniffke: Zumindest schadet es nicht, Humor zu haben und ordentlich einstecken zu können. Jedenfalls habe ich so die schwäbisch-alemannische Fasnet kennengelernt. Und als Kind der Eifel bin ich ja ohnehin vertraut mit Karnevalstraditionen.
Die Tagesschau ist ja national, und vielleicht sogar im internationalen Vergleich, das beste Angebot weit und breit. Sie haben die Sendung lange verantwortet und geprägt. Was ist das Geheimnis des Erfolgs Tagesschau?
Gniffke: Wissen Sie, wir leben in Zeiten größter Unsicherheit. Überall sind Falschinformationen, Deep Fakes gaukeln Realität vor und Verschwörungserzählungen wuchern im Netz. Es ist immer schwieriger, Fakten von Fiktion zu unterscheiden. Und da hat die Tagesschau ein Riesenpfund. Dort berichten wir, wie die Welt ist, und nicht, wie wir sie uns wünschen. Menschen können sich darauf verlassen, dass das, was die Tagesschau zeigt, wahr ist. Und darauf verlassen sich viele: Jeden Tag schauen mehr als zehn Millionen Menschen die Hauptausgabe um 20 Uhr im Fernsehen und auch auf den Social-Media Kanälen bricht die Tagesschau alle Rekorde mit über 13 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, mehrheitlich jünger als 34 Jahre.
In aktuellen Diskussionen wird heute oft übersehen, dass unabhängige Medien, wie die ARD, eine zentrale Rolle unserer Demokratie und damit bei der Erfolgsgeschichte Deutschlands nach dem Kriegsende spielen. Müsste heute aber nicht nachgebessert, sprich verschlankt, werden? Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit ARD und ZDF nicht zu groß und zu teuer geworden?
Gniffke: Viel zu häufig wird vergessen, wieso die ARD vor fast 75 Jahren gegründet wurde: als vielfältiger und vielstimmiger Gegenentwurf zum gleichgeschalteten Propagandaapparat der Nazidiktatur. Das garantiert Unabhängigkeit, Freiheit und letztlich auch Demokratie. Und ich glaube, dass diese Werte wichtiger sind denn je, denn wir erleben ja tagtäglich, wie hysterische Stimmen lauter werden und es uns ins Dach der Demokratie reinhagelt. Im Moment gehen tausende Menschen jedes Wochenende auf die Straßen, die sich Sorgen um unsere Demokratie machen. In so einer Situation braucht es Institutionen, denen die Menschen vertrauen, die nicht interessengeleitet sind und die sich an die Regeln des Anstands und des menschlichen Zusammenlebens halten. Dafür stehen wir als ARD. Und selbstverständlich reformieren wir uns: Wir sind gerade mit vereinten Kräften dabei, die ARD deutlich effizienter, moderner und digitaler umzubauen. Wir arbeiten viel enger zusammen, bauen Doppelstrukturen ab und bündeln unsere Kräfte. Es ist der größte Reformprozess in der Geschichte der ARD.
Wie gelingt es dem SWR, das Thema Heimat und das Wir-Gefühl noch stärker abzubilden? Unsere Nachbarn in Bayern scheinen da mitunter die Nasenspitze vorne zu haben.
Gniffke: Der SWR möchte den Menschen im Südwesten Orientierung, Heimat und Geborgenheit bieten. Und das machen wir in erster Linie über unser Programm. Heimat bedeutet auch immer Regionalität – nehmen Sie zum Beispiel die Fernsehnachrichten Baden-Württemberg oder die regionalen Berichte in den Hörfunkprogrammen SWR1 und SWR4. Wichtig ist dabei verlässliche Berichterstattung, Beständigkeit. Wir bleiben da, wenn andere schon wieder weg sind. Wenn im Ahrtal die Flut tausenden Menschen die Lebensgrundlage wegreißt, begleiten wir die Menschen über Monate und Jahre beim Wiederaufbau und erzählen ihre Geschichten. Das schafft Vertrauen und ein Wir-Gefühl, und das sehe ich ganz besonders im regionalen Journalismus gegeben. Ansonsten empfehle ich einen Blick in unsere Mediathek: Bei keinem anderem Streaminganbieter finden sie so viele regional verankerte Inhalte. Das Format „Handwerkskunst“ gibt zum Beispiel Einblicke in zum Teil kuriose Berufe wie Hornbrillenschnitzer oder Feuerwerksbauer. Bei der „Roomtour“ öffnen Privatleute ihre außergewöhnlichen Häuser. Mein absolutes Lieblingsformat ist „Down the Road“, in der Ross Antony mit einer Gruppe junger Menschen mit Down Syndrom auf Abenteuerreise durch den Südwesten geht.
Stefan Mross moderiert die ARD-Show „Immer wieder sonntags“ 2024 im 20. Jahr. Wie gut ist der Europa-Park als TV-Produktionspartner beziehungsweise -Standort und wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Gniffke: Seit vielen Jahren ist das unsere erfolgreiche Sommer-Sonntags-Show im Ersten. Dass Stefan Mross mit uns sein Dienstjubiläum feiert, freut mich natürlich. Der Europa-Park ist als Deutschlands größter Freizeitpark dafür die perfekte Location: Hier kommen Menschen aus aller Welt und allen Generationen zusammen; sie unterhalten sich und werden unterhalten, verbringen eine unbeschwerte, fröhliche Zeit miteinander. Wenn hunderte Leute da mitsingen oder mitwippen, ist es egal, ob jemand schwäbisch schwätzt oder Eifeler Platt, welche Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung er hat. Das sind magische Momente, die Menschen zusammenschweißen. Wir als SWR freuen uns sehr über diese Partnerschaft.
Längst ein Klassiker des SWR: „Immer wieder sonntags“ begrüßt Stefan Mross das Publikum aus der Arena im Europa-Park Erlebnis-Resort.
Wenn hunderte Leute da mitsingen oder mitwippen, ist es egal, ob jemand schwäbisch schwätzt oder Eifeler Platt, welche Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung er hat. Das sind magische Momente, die Menschen zusammenschweißen. Wir als SWR freuen uns sehr über diese Partnerschaft.
Was mögen Sie am Europa-Park? Fahren Sie auch mal Achterbahnen?
Gniffke: Man vergisst für ein paar Stunden die Herausforderungen des Alltags. Auch wenn ich nicht schwindelfrei bin: Ich fahre auch mal die Achterbahn „Voltron Nevera“! Ich mag den Nervenkitzel und die Herausforderung. Wenn demnächst die neue Stahlachterbahn im Themenbereich Kroatien öffnet, sind die Loopings für mich bestimmt eine Versuchung.
Das Gespräch führte Horst Koppelstätter
Kai Gniffke wurde 1960 in Frankfurt am Main geboren. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und des Öffentlichen Rechts. Reporter bei den Fernsehnachrichten des Südwestrundfunks in Mainz, dann landespolitischer Korrespondent. 1999 übernahm er die Leitung der Redaktion ARD-aktuell beim SWR in Rheinland-Pfalz. Seit 2006 verantwortete er als Chefredakteur ARD-aktuell unter anderem die Tagesschau, Tagesthemen und tagesschau.de. Seit 2019 ist er SWR-Intendant und 2023 hat er den ARD-Vorsitz übernommen.
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