Handwerk steht für Mut und Entschlossenheit

Gespräch mit der Karlsruher Innovationsforscherin Marion A. Weissenberger-Eibl

Die Universitäts-Professorin Marion A. Weissenberger-Eibl leitet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe und ist Inhaberin des Lehrstuhls für Innovations- und Technologie-Management am Institut für Entrepreneurship, Technologie-Management und Innovation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

REPORT sprach mit der Innovationsforscherin.

Sie sind Innovations-Expertin: Welchen Rat können Sie einem mittelständischen Handwerksbetrieb im Blick auf Zukunftsfähigkeit geben?
Marion A. Weissenberger-Eibl: Das Handwerk steht vor den Herausforderungen, vor denen wir alle stehen – so zum Beispiel Klimawandel, Energie- und Mobilitätswende, Rohstoffknappheiten, demographischer Wandel, Digitalisierung oder auch Fachkräftemangel. Die Frage ist, ob sich die Betriebe von den Entwicklungen überrollen lassen oder ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Ich rate Betrieben, sich aktiv mit Zukunftsthemen auseinanderzusetzen. So können sie klären, auf welchen Wegen sie in die Zukunft schreiten können. In meinem Team nutzen wir dafür Methoden der strategischen Vorausschau. Gemeinsam mit den Unternehmen analysieren wir den gesellschaftlichen und technologischen Wandel, erarbeiten Vorstellungen von der Zukunft, so genannte Zukunftsvisionen, und entwickeln daraus Szenarien und Strategien. Dazu gehört mitunter auch, über Bord zu werfen, was jahrzehntelang gut funktioniert hat. Und manchmal können auch kleine Veränderungen große Wirkung erzielen.

Wie wichtig ist das traditionelle Handwerk für die deutsche Wirtschaft?
Weissenberger-Eibl: Schon immer war das Handwerk ein wichtiger Treiber in Deutschland. ohne das Handwerk würden wir nicht in innovativen Häusern wohnen, traditionelle und moderne Gerichte genießen oder Nachhaltigkeitskonzepte in die Praxis umsetzen. Nun ziehen auch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in das Handwerk ein. In Zukunft übernehmen Roboter und vernetzte Systeme zahlreiche Aufgaben im Handwerk. Wir werden Berufe, Standards und Routinen anpassen und verändern müssen. Dafür benötigen wir Offenheit, Mut und Entschlossenheit – Eigenschaften, die ich im Handwerk durchaus sehe. Kurzum: Das traditionelle Handwerk bekommt ein Upgrade und kann so ein wichtiges Standbein der deutschen Wirtschaft bleiben.

Wo kann Digitalisierung zu einem Schub in die Zukunft führen?
Weissenberger-Eibl: Digitale Möglichkeiten können die Handwerksarbeit an vielen Stellen ergänzen und erleichtern – und mitunter auch die Folgen des Fachkräftemangels ausgleichen. Alltägliche Prozesse wie Schicht- und Ressourcenplanung, Einkauf und Vertrieb lassen sich sehr gut digitalisieren. Für Kundenkontakt und Terminkoordination gewinnen Websites, Software und Social Media an Bedeutung. Wer zudem Tablets einsetzt, kann auch vor Ort über alle Daten verfügen. Das Thema Smart Home hat viele neue Betätigungsfelder im Handwerk geschaffen. Digitale Messtechnik kann Daten erheben und fehlerfrei direkt an eine Software übertragen, die die Daten weiterverarbeitet. Bei großen Bauvorhaben können digitale Plattformen die Koordination und Zusammenarbeit der Gewerke vereinfachen. Schwere Arbeiten lassen sich künftig durch Exoskeletts erleichtern. Und auch den Einsatz von autonomen Robotern kann ich mir in großen Betrieben sehr gut vorstellen.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen: Wird sich die Landschaft der heutigen Handwerksbetriebe in den nächsten zehn Jahren deutlich verändern? Wenn ja, wie? Was bleibt, was kommt?
Weissenberger-Eibl: Es ist davon auszugehen, dass die Landschaft in zehn Jahren eine andere sein wird. Einerseits verändern sich Betriebe, Berufsbilder und Aufgaben, wobei viele Kernkompetenzen wichtig bleiben. Anderseits wird es bestimmte Zweige sicher nicht mehr geben – weil es keinen Bedarf mehr gibt, weil der Nachwuchs fehlt, weil Tätigkeiten industrialisiert werden oder abwandern. Ich denke an das Fleischereihandwerk. Betriebe werden häufig geschlossen, aber sehr selten eröffnet. Auch Innovationen, wie der 3D-Druck im Hausbau, könnten die Betriebslandschaft umkrempeln.

Was raten Sie einem jungen Menschen, der vor der Frage steht, sich selbstständig zu machen?
Weissenberger-Eibl: Ich würde ihm raten: Gehen Sie Ihren Weg! Seien Sie mutig und entschlossen, denn das Handwerk hat Zukunft. Klar ist, dass sich das Handwerk an vielen Stellen neu erfinden muss. Viele gründungswillige junge Menschen bringen die notwendigen kreativen Ideen und Ansätze mit. Sie benötigen auch ein Verständnis für die digitale Welt und die Symbiose von Mensch und Maschine. Das Thema Nachhaltigkeit sollte für sie kein Fremdwort sein. Darüber hinaus ist es in Zeiten von Fachkräftemangel ratsam, sich mit den Anforderungen an einen guten Arbeitgeber auseinander zu setzen. Kurzum: Die Bretter sind dick, bringen aber zahlreiche Chancen für selbstständige junge Menschen mit sich.

Wo sehen Sie Defizite in der Politik im Blick auf Innovationsmöglichkeiten für den Mittelstand?
Weissenberger-Eibl: An guten Ideen mangelt es im Mittelstand nicht. Häufig fehlt aber der Zugang zu Kooperationspartnern, wie Hochschulen und Forschungseinrichtungen oder Großunternehmen und Start-ups. Es mangelt an einer für den Mittelstand passenden Förderstruktur. Ich sehe unter anderem Defizite bei Kenntnissen zu Innovationsbedarfen im Mittelstand, niedrigschwelligen Ansätzen, um Kooperationen zu fördern, sowie Förderkulissen, die auch kleine und Kleinstprojekte ermöglichen.

Was fasziniert Sie persönlich am Handwerk?
Weissenberger-Eibl: Nach dem Abitur absolvierte ich zunächst eine Lehre zur Bekleidungsschneiderin. Mit den eigenen Händen Wert zu schaffen, ist für mich sehr bedeutungsvoll. Ich schätze die Handwerkskunst sehr. Das Schneiderhandwerk beginnt mit einem kreativen Akt: Wir schaffen Neues – von der Idee bis hin zur Skizze eines Kleidungsstücks. Es schließt sich die technische Ausführung und der Einsatz unterschiedlicher Werkzeuge an, um die eigenen Vorstellungen in ein physisches Produkt zu verwandeln. Personen, die das Produkt tragen, bringen damit auch ihre Persönlichkeit zum Ausdruck. Ähnlich ist es bei anderen handwerklichen Tätigkeiten. Das Handwerk schafft Werte für Menschen.

Was schätzen Sie an Karlsruhe?
Weissenberger-Eibl: Karlsruhe ist für mich eine Stadt der neuen Ideen und des Innovationsgeistes. Die Mischung aus kulturellem Erbe und wissenschaftlicher Neugier spüre ich regelrecht in den Straßen. Die Stadt verbindet Natur, Kultur und Wissenschaft und schafft damit den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Brückenschlag.

Wo steht das KIT nach Ihrer Wahrnehmung im internationalen Vergleich?
Weissenberger-Eibl: Das KIT ist eine bedeutsame Institution – national sowie international. Durch ihre Ambitionen in den Bereichen Natur- und Ingenieurswissenschaften tritt die Universität besonders hervor – nicht zuletzt durch zukunftsträchtige Forschungsprojekte, an denen beispielsweise auch Fraunhofer-Institute beteiligt sind. Das KIT trägt zur Spitzenforschung in Deutschland bei, welche international Anerkennung genießt.

Schenken Sie uns eine Lebensweisheit?
Weissenberger-Eibl: Der Weg in die Zukunft ist nicht gradlinig. 

Das Gespräch führte Horst Koppelstätter 

 

Marion A. Weissenberger-Eibl arbeitet zu Entstehungsbedingungen von Innovationen und deren Auswirkungen. Wiederholt wurde sie als eine der 100 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet. In Wirtschaft und Politik ist sie eine geschätzte Expertin in den Fokusthemen Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Innovation und Zukunftsforschung.