„Wir müsse nit gwinne"

Christian Streich im Porträt / Gegenüber emotional pur äußert sich der Erfolgstrainer des SC Freiburg exklusiv zu seinem Verständnis von Heimat

Christian Streich hat schon woanders gearbeitet und gelebt, aber das ist lange her. Und sehr weit weg war es auch nicht. Heute scheint er zu Freiburg und Südbaden zu gehören wie der Eiffelturm zu Paris. „Ohne“ ist fast nicht mehr vorstellbar. Im Dezember 2011 übernahm Streich den damals abstiegsbedrohten Fußball-Bundesligisten SC Freiburg, zuvor war er jahrelang erfolgreicher Nachwuchstrainer der Breisgauer. Schon seit geraumer Zeit ist er der dienstälteste Coach in der Bundesliga und mittlerweile erlebt er mit dem Sport-Club einen Höhenflug wie noch nie.
Diese Beständigkeit dürfte einer der Gründe für den heutigen Erfolg sein. Der Sport-Club hielt an Streich sogar nach einem zwischenzeitlichen Abstieg fest. Zum Vergleich: Der fünfmalige deutsche Meister VfB Stuttgart hatte seit Streichs Dienstantritt in der Bundesliga 19 Trainer – und taumelt dennoch beständig zwischen Abstieg und Mittelmaß.


Bodenständig und weltoffen zugleich

Kontinuität lässt sich aber gerade im Fußballgeschäft nicht planen. Deshalb hat der Erfolg des Trainers Christian Streich ganz viel mit seiner einmaligen Art zu tun. Er ist Menschenfänger, Pädagoge und Taktiker: „Wir müssen wahnsinnig viel laufen, extrem aggressiv sein, schon bei den Stürmern, einen hohen Willen und eine extrem gute Ordnung haben, dann können wir auch Leipzig oder Leverkusen schlagen.“ Fußball sowohl als komplexe mentale wie auch körperlich intensive Angelegenheit, so beschreibt er seine Spielphilosophie.
Zum Unikat auf der Trainerbank wird Streich aber besonders durch sein Auftreten. Er ist bodenständig und weltoffen zugleich, empathisch, kauzig und authentisch. Vor einigen Jahren wurde ihm im Europa-Park-Hotel „Colosseo“ die „Goldene Narrenschelle“ der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) überreicht – für „seine teils trockene, alefänzige (Alemannisch für „widerspenstig“) Art, Sachverhalte zu erklären“, hieß es in der Begründung.

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Christian Streich (2. von rechts) mit Europa-Park-Chef Roland Mack bei der Verleihung der „Goldenen Narrenschelle“.

„Seine Unbekümmertheit lässt ihn bei aller Ernsthaftigkeit des Bundesliga-Alltags zu einem wahren Spaßmacher werden, der schwätzt, wie ihm de Schnabel gwachse isch.“ Der Dialekt gehört zu ihm wie einst der Trenchcoat zu Film-Legende Humphrey Bogart.

Bundesweite Kultfigur
Mit ihrem „Streich der Woche“, einer Höhepunktesammlung im Internet von seinen Pressekonferenzen, hat die „Badische Zeitung“ Streich längst zu einer bundesweiten Kultfigur werden lassen. „Gut ist, wenn man schlecht schläft“ gehört zu seinen Weisheiten, die nicht nur auf dem Platz liegen. Ebenso: „Wir müsse nit gwinne. Was wir müsse, isch sterbe“, „Der eine holt Kraft aus em Gebet, der andere aus de Badwanne“ oder „Man verändert sich immer, weil man hat ja Stoffwechsel. Man isch ja nit tot“. Geboren 1965 wuchs Streich im 2.500-Einwohner-Ort Eimeldingen nahe der Schweizer Grenze auf. Dort wird Alemannisch gesprochen. Der Sohn eines Metzgers hat Germanistik, Sport und Geschichte für das Lehramt studiert. In seiner eigenen Profikarriere spielte er zwischen 1985 und 1990 für die Stuttgarter Kickers und den FC Homburg. Eine Zweitliga-Saison verbrachte er mit dem späteren Bundestrainer Jogi Löw zusammen beim SC Freiburg. Bereits mit 29 Jahren wechselte Streich auf die Trainerbank. Sein Privatleben hält der zweifache Vater möglichst aus der Öffentlichkeit heraus. Nicht bedeckt hält er sich dagegen bei öffentlichen Themen, die ihm wichtig sind – so setzt er sich regelmäßig gegen Fremdenfeindlichkeit ein.

„Kein Mensch kennt mich dort“
Der Trainer Christian Streich hätte sicher auch woanders Erfolg, aber die besondere Verbindung zur Region, aus der er stammt, würde fehlen. Gegenüber emotional pur erklärt er zu der Frage, was ihm Freiburg bedeutet: „Wenn neue Spieler kommen, sage ich ihnen gerne, wo sie in der Region hingehen können. Im Landfrauencafé in St. Märgen zum Beispiel gibt es guten Kuchen. Wenn es in Freiburg neblig ist, und sie fahren 20 Minuten hoch in den Schwarzwald, dann sind sie in der Sonne. Oder ich frage sie, ob sie schon mal in Basel oder Straßburg waren? Ich selbst fahre sehr gerne zum Essen ins Elsass – das sind nur ein paar Kilometer über die Grenze und kein Mensch kennt mich dort.“

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Und zum Besonderen der Region auch mit Blick auf Europa führt er aus: „Ich bin ja nie großartig weggekommen in meinem Leben, daher ist das Dreiländereck schon Heimat. Wobei der Begriff Heimat auch schwierig ist. Heimat ist schön, kann aber auch sehr eng sein. Und viele Menschen können in ihrer Heimat nicht mehr leben, weil es dort kein Wasser mehr gibt oder Krieg herrscht. Wahrscheinlich müsste man eher solche Menschen fragen, welche Bedeutung Europa und ein sicherer Ort zum Leben hat.“

scfreiburg.com

Christoph Ertz